Interview mit Matt Benzies von Johnson & Johnson über gängige Lücken im Lebenslauf
Wir freuen uns sehr, dass Matt Benzies von Johnson & Johnson sich die Zeit genommen hat und etwas aus dem Nähkästchen plaudert. Viel Spass beim lesen.
Wie ist Ihr Name und Ihre Berufsbezeichnung bei Johnson & Johnson?
Matt Benzies, Talent Acquisition Partner
Bitte erzählen Sie uns in ein paar Sätzen von Ihren Erfahrungen im Personalmanagement.
Talent Acquisition Spezialist mit vier Jahren Erfahrung in der DACH Region mit Schwerpunkt auf der Personalbeschaffung in der Schweiz. Meine Erfahrungen sammelte ich in einer Personalagentur und bei in-house Anstellungen. Meine Aufgaben bestanden in der projektbasierenden Personalbeschaffung, Prozess Design & Verbesserungen und das Umsetzten von Diversity, Equity & Inclusion durch Personalbeschaffungs- und Personalwesen-Initiativen.
Was sind aus Ihrer Erfahrung gängige Gründe für Lücken in den Lebensläufen?
Als erstes möchte ich sagen, wenn ich von einer Lücke spreche, spreche ich über die Zeit, die ausserhalb der «traditionellen» Anstellung in einem Unternehmen oder in Selbstständigkeit/Beratung verbracht wurde. Wir glauben, dass die diversen Perspektiven, die aus einer Lücke im Lebenslauf entstehen können, enorm wertvoll sind. Eine Karrierepause zu machen, um sich um kleine Kinder zu kümmern oder um zu Reisen, stellt uns vor neue Herausforderungen, und helfen uns, uns ausserhalb des Arbeitsplatzes weiterzuentwickeln. Das ist eine extrem bereichernde Erfahrung, die der Arbeitsplatz nicht bieten kann.
Während meiner Zeit in der Personal-Agentur und inhouse bei Johnson & Johnson habe ich viele Gründen für Karrierepausen und Lücken im Lebenslauf gesehen und gehört. Die Dinge ändern sich ständig, und wenn man genug Zeit in der Rekrutierung verbringt, bekommt man immer mehr berechtigte Gründe für Karriere Unterbrechungen zu Gesicht. Der gängigste Grund ist verständlicherweise die Elternzeit und die Kinderbetreuung, oder wenn sich Mütter ihren kleinen Kindern widmen im Zuge eines Wohnortswechsel in die Schweiz. Wir haben festgetellt, dass die gleichen Gründe auf Väter zutreffen, aber zugegebener Weise kommt das seltener vor. Es kommt auch vor, dass sich Menschen, die Zeit zum Reisen nehmen, entweder nach einer natürlichen Unterbrechung, wie einer Entlassung, nach dem Studium aber manchmal auch spontan. Leider ist es nicht ungewöhnlich, dass Personen nach einer Kündigung unverschuldet Lücken in Ihrem Lebenslauf aufweisen, weil es Ihnen die Marktsituation erschwert, wieder einen Fuss in die Tür zu bekommen (z.B. Covid), oder in Bezug auf unfaire Konditionen wie ihrem Alter (speziell die Altersgruppe 50 plus). Die erwähnenswerteste «Lücke», die ich bis jetzt gesehen habe, ist die eines ehemaligen Finanzchefs, welcher seine Finanzkarriere verlassen hat, um seinen Kindheitstraum als Taxifahrer für ein Jahr zu verwirklichen – Warum nicht?
Wie oft kommen die genannten Lücken vor?
Über die gesamte Breite gesehen, kommt wahrscheinlich die Elternzeit / Kinder Betreuung und Zuzug am meisten vor, gefolgt von Reisen und Sabaticals, und letztendlich die Kündigung und dem darauffolgenden Kampf wieder an eine Arbeitsstelle zu kommen.
Würden Sie sagen, dass die Bewerber transparent in Bezug auf ihre Lücken sind?
Über die gesamte Breite gesehen: Ja. Das ist etwas, was Arbeitgeber sehr schätzen, ich selbst zähle mich auch dazu, diese Transparenz zu schätzen. Es kommt gut an, wenn Kandidaten ein, zwei Sätze über ihre «ausser-Lebensläuflichen Aktivitäten» verfassen, z. B. Kurse, Ehrenamtliche Tätigkeiten, usw.. Ich kann verstehen, dass sich eine Stellensuche manchmal wie eine Vollzeitanstellung anfühlen kann. Meist werden Dinge wie Burnout oder psychische Erkrankungen nicht erwähnt, welche statistisch gesehen jedoch öfter als Grund für Lücken vertreten sein sollten. Es ist verständlich, dass es schwierig ist, offen über dieses Thema zu sprechen, diese Tatsache zeigt, dass es immer noch ein grosses Tabuthema ist und der Arbeitgeber die Möglichkeit nutzen sollte, dieses Thema im Bewerbungsprozess mit einzubeziehen, um es zu neutralisieren.
Wie oft (prozentual) sehen Sie Lücken in all den Bewerbungen, die sie erhalten?
Sehr schwer zu sagen, ich würde raten, wenn ich eine exakte Prozentzahl angebe. Zugegebener Weise hat das mit der Tatsache zu tun, dass aktuelle Lücken mehr herausstehen, als Lücken, die zwei Abschnitte vor der aktuellen Stelle im Lebenslauf auftauchen. Lücken im Lebenslauf sind Teil des Lebens, normalerweise konzentriere ich mich nicht auf Lücken, die vor fünf Jahren zustande kamen. Zurzeit sind aktuelle Lücken jedoch gängig, gegeben durch die Auswirkungen der Pandemie.
Was halten Sie von Lücken im Lebenslauf? Rufen sie eine bestimmte Reaktion in Ihnen hervor?
Schon nach kurzer Zeit in der Rekrutierung lösen Lücken im Lebenslauf schon keine Reaktionen mehr aus. Natürlich kann ich nicht für Jeden im Personalwesen sprechen, ich denke jedoch, dass Personal Manager, die nicht regelmässig Einstellen, diese Sache anders sehen. Es ist wichtig, dass Talent Aquisition Partner ihre Personal Manager darauf hinweisen, dass es viele akzeptable Gründe für Lücken gibt, und dass sie offenbleiben sollten. Damit möchte ich nicht sagen, dass Personal Manager engstirnig sind, doch kann die erste Reaktion manchmal negativ ausfallen, und wichtiger Teil der Talent Aquise ist es die Dinge so objektiv wie möglich zu halten und immer dazuzulernen.
Wie entziffern Sie wertvolle Talente, die sich in den Lücken im Lebenslauf verstecken?
Talente aus Lücken auf dem Papier zu entziffern ist sehr kompliziert, am besten funktioniert das im persönlichen Gespräch. Die Art, in der Lebensläufe geschrieben oder gelesen werden, setzt professionelle Erfahrung voraus. Die Lücken darin werden oft nicht auf dieselbe Weise positiv ausgearbeitet wie die beruflichen Erfolge. Wenn man einen Lebenslauf mit Lücke liest, ist es wichtig auf die Fähigkeiten und Kompetenzen, die die angebotene Stelle fordert, zu achten und dann die passend scheinenden Talente, die sich der Kandidat in den Lücken angeeignet hat, tiefer in einem Interview zu ergründen.
Würden Sie sagen, dass es möglich ist zwischen den Zeilen zu lesen? Und etwas über die Persönlichkeit des Kandidaten durch die Gründe für seine Pausen im Berufsleben zu entziffern? Könnten Sie ein Beispiel nennen?
Wenn es um Persönlichkeit geht, ist es in der Personalbeschaffung oft sehr schwierig im Lebenslauf zwischen den Linien zu lesen. – Ich wurde schon sehr oft überrascht, auch wenn ich versucht habe objektiv zu bleiben. Für mich zählt das «Herausfinden über eine Persönlichkeit» als Stärke eines Personalvermittlers, nicht die «Vorhersage», deshalb bin ich vorsichtig das zu tun, bevor ich wirklich mit einem Kandidaten gesprochen habe. Ich kann kein konkretes Beispiel nennen.
Bitte erzählen Sie uns von einem positiven Erlebnis mit einem Kandidaten, welcher Lücken in seinem Lebenslauf hatte.
Viele Personen, die eine Karrierepause hatten, werden komplett übersehen, wenn sie sich auf Stellen bewerben. Eine Karrierepause ist bei Vielen als Negativ angesehen, allerdings sehen wir sie als positiv an. Wir sind überzeugt davon, dass das Abweichen von einem linearen Karriereverlauf von Vorteil sein kann. Wir haben enormen Mehrwert erfahren, wenn Menschen Phasen in Ihrem Leben planen, in welchen sie neue Ziele angehen, neue Perspektiven wahrnehmen und ihren Horizont erweitern. Wir haben das bei vielen unserer Wiederkehrenden, die wir angestellt haben, gesehen und haben sehr positive Erfahrungen damit gemacht, Menschen wieder zurück in die Arbeitswelt zu begleiten. Die Motivation und den Antrieb, den Wiederkehrende mitbringen ist ein enormer Gewinn.
Was ist Ihr Rat für Personaler in Bezug auf die Interpretation von Lücken in Lebensläufen?
Aufbauend auf das schon Gesagte, finde ich, es gibt Grenzen in Bezug auf die Interpretation aus Lebensläufen. Mein Rat an Jeden der mit Personalbeschaffung zu tun hat, ist mit einem Personalverantwortlichen zusammen zu arbeiten, um ihm die offensichtlichen Vorteile von Karriere-Lücken und die erweiterte Perspektive, die diese mit sich bringen aufzuzeigen. Stellen Sie sicher, dass Kandidaten nicht fälschlicherweise abgelehnt werden, nur weil sie eine Karrierepause hatten.
Wie lange muss die Karrierepause eines Kandidaten sein, um ihn als Wiedereinsteigenden zu bezeichnen?
Unsere interne Definition beträgt zwei Jahre. Ich bin mir sicher es gibt unterschiedliche Definitionen mit berechtigten Argumenten, aber zwei Jahre ist sicherlich ein guter Massstab.
Würden Sie sagen ein Wiedereinstiegsprogramme zieht mehr Bewerber mit Lücken im Lebenslauf an, als ein regulär veröffentlichtes Stellenangebote?
Da Re-ignite nur Stellen für Personen mit Lücken im Lebenslauf angebietet: Ja. Wir können die Ausgangsbedingungen für Wiedereinsteigende ausgleichen, indem die Personalverantwortlichen ausschliesslich Wiedereinstiegskandidaten anschauen, anstatt einen Wiedereinsteigenden mit einer Person ohne Lücke im Lebenslauf gegenüberzustellen. Re-ignite ist ein Teil von Johnson & Johnson’s grossem Engagement für Diversity & Inclusion und bestätigt uns in unserem Handeln.
Denken Sie, dass Sie ohne Wiedereinstiegsprogramme wertvolle Talente übersehen würden? Warum oder Warum nicht?
Ohne Zweifel – Es gibt zahlreiche Gründe, wir stellen fest, dass die Personalverantwortlichen und die Entscheidungsmacher durch die Wiedereinsteigenden-Stellen vor vollendete Tatsachen gestellt werden, und somit die Personen mit Lücken in Ihrem Lebenslauf nicht übersehen werden können. Das ist definitiv ein grossartiges Resultat für alle Beteiligten.
Wie würden Sie Personaler:innen ermutigen mehr Personen mit Lücken im Lebenslauf zu berücksichtigen?
Ich kann nur das überaus belohnende und zufriedenstellende Gefühl, dass entsteht, wenn man Jemanden zurück in die Arbeitswelt hilft, und dann zu sehen, wie er aufblüht, weitergeben. Basierend auf der Tatsache, dass das Teilen von Erfolgsgeschichten ein grosser Motivator und eine einzigartige Möglichkeit ist, die Personaler-Community an Bord zu bringen. Die Vorteile Wiedereinsteigende anzustellen sind klar, und ein Wiedereinstiegsprogram einzuführen ist eine grossartige Weise unseren Geschäftspartnern aus Personaler-Sicht ein wertvolles Werkzeug zur Verfügung zu stellen.
Vielen Dank für die spannende Einsicht Herr Benzies.
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